Vier von fünf Trägern rechnen mit negativem Jahresergebnis

Düsseldorf, 14. August 2023. Inflation, hohe Energiepreise und steigende Löhne: Das Diakonische Werk Rheinland-Westfalen-Lippe e.V. hat seine Träger zur finanziellen Situation befragt. Die Ergebnisse sind erschütternd: Vier von fünf Trägern rechnen mit einem negativen Jahresergebnis in den abgefragten Handlungsfeldern, ein Drittel sogar mit einem Liquiditätsengpass noch in 2023.

Ende April erreichten die Tarifpartner im öffentlichen Dienst eine Einigung mit hoher Wirkung – eine einmalige Ausgleichsprämie sowie deutliche Tarifsteigerungen ab März 2024 zeigen: Die Beschäftigten werden mit der Inflation und den gestiegenen Energiepreisen nicht allein gelassen. Bereits einen Monat später einigte sich die Arbeitsrechtliche Kommission im Verbandsgebiet der Diakonie RWL darauf, diese Beschlüsse auch für ihre Angestellten zu übernehmen. „Es ist gut, fair und richtig, dass auch die Beschäftigten in der Diakonie vom Inflationsausgleich profitieren. Es zeigt die Wertschätzung ihrer wichtigen Arbeit: in der Pflege, der pädagogischen Begleitung von Kindern und Betreuung von Menschen mit Behinderungen sowie in allen unseren Beratungsstellen“, sagt Kirsten Schwenke, juristische Vorständin der Diakonie RWL.

Um die Auswirkungen dieser Tarifeinigung auf die finanzielle Situation ihrer Träger zu ermitteln, hat die Diakonie RWL jetzt ihre Mitglieder in NRW, Rheinland-Pfalz, dem Saarland und Hessen befragt. Die Rückmeldungen sind erschreckend. „Die Zahlen zeigen, dass wir schleunigst Unterstützung von der Politik brauchen, damit die soziale Infrastruktur erhalten bleibt“, so Kirsten Schwenke. Dies sind die drei zentralen Erkenntnisse:

1.) Vier von fünf Trägern rechnen mit negativen Jahresergebnissen

Insgesamt wurde der Fragebogen der Diakonie RWL 388-mal ausgefüllt. Von Betreuungsvereinen über Krankenhäuser, Kitas, Offene Ganztagsschulen (OGS), Einrichtungen der Eingliederungshilfe und Beratungsstellen berichten vier von fünf Trägern, dass sie in ihrem jeweiligen Arbeitsbereich in diesem Jahr mit einem negativen Abschluss rechnen. Besonders betroffen sind die Betreuungsvereine (97 Prozent), Kitas (94 Prozent), OGS (90 Prozent) und Beratungsstellen (88 Prozent). Auch die ambulanten Pflegedienste (87 Prozent) und die Einrichtungen für Menschen mit Behinderungen (80 Prozent) rechnen mit einem deutlichen Minus.

Gefragt nach den Gründen für die finanzielle Schieflage, zeigen sich je nach Handlungsfeld Abweichungen, dennoch sind Tendenzen ablesbar. „Vor allem die Tarifsteigerungen sind eine große Herausforderung für unsere Träger“, sagt Diakonie RWL-Vorständin Kirsten Schwenke. Dabei seien sowohl die Inflationsausgleichszahlung, bei der bereits Mitte dieses Jahres der größte Teil fällig war, als auch die linearen Lohnsteigerungen ab März kommenden Jahres Treiber. Die hohen Energiepreise machten sich im Schnitt zu einem Viertel bis zu einem Drittel bemerkbar. „Die Träger machen außerdem geltend, dass sie auch ohne die Inflation permanent mit einer Unterfinanzierung zu kämpfen haben“, sagt Kirsten Schwenke. Dieser Faktor, der sich unabhängig von Krieg und Inflation auspräge, schlage mit einem Drittel zu Buche.

2.) Jeder dritte Träger rechnet mit einem Liquiditätsengpass noch in diesem Jahr

Aufgrund der multiplen Problemlagen rechnet jeder dritte Träger noch in diesem Jahr mit einem Liquiditätsengpass. „Solche angespannten Phasen kennen wir aus der Vergangenheit. Dennoch konnten unsere Träger sie in der Regel aus ungebundenen Rücklagen oder mithilfe von Krediten überbrücken. Dies gelingt immer weniger“, so Kirsten Schwenke. Es sei falsch, davon auszugehen, dass Kirchenkreise oder Landeskirchen immer wieder mit Geldspritzen einspringen könnten, um die sozialen Systeme zu sichern. „Die Zuwendungen aus Kirchensteuern und Kollekten sind rückläufig, Spenden können das nicht mehr kompensieren.“

Hinzu kommt: Wenn klar wäre, dass das fehlende Geld zeitnah durch neue Zuflüsse wieder eingenommen werden könne, seien auch finanziell angespannte Zeiten aushaltbar. „Aufgrund ausbleibender Zusagen des Landes fehlt derzeit vielen Trägern diese Mut machende Perspektive“, sagt Kirsten Schwenke. Das führe auch dazu, dass notwendige Investitionen, etwa in energetische Sanierungen von Gebäuden, Fachkraftoffensiven oder die Digitalisierung aufgeschoben würden.

3.) Die Folgen für die Gesellschaft: Träger schränken soziale Dienste ein

Sehr klar haben die Träger vor Augen, welche unangenehmen Entscheidungen sie bald treffen müssen, wenn sich die Haushaltslage nicht entspannt. So berichtet ein Kitaträger: „Sollten keine Budgetsteigerungen oder Zuschüsse erfolgen, sehen wir eine drohende Zahlungsunfähigkeit, Überschuldung und damit eine drohende Insolvenz. Dies hat zur Folge: Fehlende Bereuungsplätze (mehr als 1.200 in unseren Einrichtungen) und 260 Mitarbeitende verlieren ihren Arbeitsplatz.“ Andere Kita-Träger planen, die Betreuungszeiten herunterzufahren oder Gruppen ganz zu schließen.

„In den Offenen Ganztagsschulen kann lediglich über Personalkosten gespart werden. Der Personalschlüssel muss weiter reduziert werden, was deutliche Verluste der Qualität bedeutet, aber auch hinsichtlich der Verlässlichkeit des Angebots, da Personalausfälle seltener bis gar nicht kompensiert werden können“, schreibt ein OGS-Träger. „Es wird vermehrt zu (kurzfristigen) Schließungen oder Notgruppen kommen müssen.“ Das, so der Träger weiter, konterkariere die Ausbaupläne der Landesregierung für den OGS-Bereich mit Blick auf den Betreuungsanspruch ab dem Schuljahr 2026/27.

„Die Betreuungsvereine können so nicht dauerhaft überleben“, sagt ein anderer Träger. „Wir werden unsere Arbeit im Bereich der rechtlichen Betreuung von Bedürftigen in den kommenden Jahren aufgeben, da unsere Rücklagen dann aufgebraucht sind.“

Träger von Beratungsstellen wie etwa in der Geflüchteten- und Migrationsberatung sind durch die Kürzungsdebatten für den Bundeshaushalt 2024 zusätzlich verunsichert. Dabei steigen die Bedarfe aufgrund Russlands Krieg in der Ukraine und nach wie vor hohen Zuwanderungszahlen weiter. Ein Träger schreibt: „Über Jahre etablierte Beratungsstrukturen werden durch weitere Kürzungen wegbrechen. Diese wären später nur sehr mühevoll und kostenintensiv wieder neu aufzubauen. Der soziale Frieden innerhalb der Stadtgesellschaft könnte dadurch Schaden nehmen.“